Zielgruppe und Prinzipien
Dieser Ratgeber richtet sich hauptsächlich an Eltern, bei deren Kind kürzlich eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) oder Legasthenie bzw. Dyslexie diagnostiziert wurde oder aktuell vermutet wird, sowie an deren Lehrer und Therapeuten.
Der LRS-Ratgeber soll objektiv und neutral informieren und möglichst viele hilfreiche Tipps geben. Hier werden keine konkreten Therapien empfohlen, weil die Angebote von sehr vielfältiger Qualität sind und bei den meisten die Wirksamkeit niemals durch eine Studie nachgewiesen wurde, die wissenschaftlichen Maßstäben genügt.
Vorwort
Die betroffenen Kinder starten zunächst gut in der Schule. Gegen Ende des ersten oder im zweiten Schuljahr haben Eltern vielleicht bereits das Gefühl, dass ihr Kind noch nicht so rechte Fortschritte im Lesen- und Schreiben macht. Bei Rückfragen diesbezüglich in der Schule wird meistens beruhigt, „Ihre Kind braucht einfach noch ein bisschen Zeit. Die Rechtschreibung steht noch nicht im Vordergrund, sondern es soll Freude am Schreiben geweckt werden“.
In der dritten Klasse wandelt sich das Bild, da nun plötzlich auch in Mathematik Schwierigkeiten auftauchen. In der dritten Klasse müssen Textaufgaben gelöst werden und wer bis dahin noch nicht gut genug lesen kann, zählt nun vermeintlich auch zu den schlechten Rechnern.
Die Hausaufgaben sind nun fast nicht mehr zu bewältigen. Es kommt zu richtigen Hausaufgabendramen zwischen Eltern und Kind. Alles Üben scheint nicht zu fruchten, was gestern noch gekonnt wurde, ist ein Tag später wieder aus dem Gedächtnis gefallen. Dies bringt Eltern und Kinder in große emotionale Not. Spätestens jetzt ist kompetente Hilfe notwendig. Ohne Hilfe besteht die Gefahr, dass Kinder mit so großen Ängsten vor den Anforderungen in der Schule stehen, dass sie mit Schulverweigerung, Schulangst und psychosomatischen Beschwerden („ich habe Bauchschmerzen, ich kann heute nicht in die Schule“) oder Verhaltensauffälligkeiten reagieren.
Legastheniker werden oft fälschlicherweise als dumm oder faul angesehen. In Wahrheit haben sie erkannt, dass sie in der Schule keine Chance haben, egal wie viel sie üben. Das verschlimmert die Situation noch weiter. Häufig sind Betroffene bereits in diesem Teufelskreis, wenn sie erfahren, dass sie in Wahrheit ’nur‘ unter Legasthenie leiden.
Jetzt ist dringendst Handlungsbedarf, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Ziel
Legastheniker werden zwar ihr ganzes Leben lang von ihrer Legasthenie begleitet, doch das ist später im Alltag meist nur von untergeordneter Bedeutung.
Im Zeitalter des Computers müsste das Leben für Legastheniker sogar zunehmend einfacher werden. Heute werden Informationen immer seltener schriftlich kommuniziert, sondern per Bild oder Video. Texte werden kaum noch handschriftlich verfasst, sondern am Computer, der „Tippfehler“ automatisch korrigiert.
Jedoch haben Legastheniker immer noch oft in der Schule so große Schwierigkeiten, dass diese drohen, ihre gesamte Schulkarriere zu ruinieren und damit das gesamte Leben massiv zu beeinträchtigen.
Daher muss das Ziel hauptsächlich sein, den Betroffenen trotz der Legasthenie eine möglichst gute Schulkarriere zu ermöglichen.
Dilemma
Über die Ursache für Legasthenie wird zwar noch immer diskutiert, aber die einstigen Irrtümer sind heute größtenteils ausgeräumt:
- Früher glaubte man Legastheniker seien dumm und faul, heute weiß man, dass das nicht stimmt.
- Legastheniker halten sich selbst für unfähig, obwohl sie es nicht sind.
- Legastheniker versagen in vielen Schulfächern, obwohl sie nur nicht so gut Lesen und Rechtschreiben können.
- Legastheniker belasten die ganze Familie, obwohl das nicht sein bräuchte.
Die Ursache für die unnötig großen Schwierigkeiten ist größtenteils Unwissen!
- Die anderen Kinder wissen es nicht besser.
- Die Betroffenen finden keine andere Erklärung.
- Die Lehrer kennen zwar Legasthenie, wissen aber nicht immer, wie man wirksam helfen kann!
- Die Eltern erfahren lange Zeit nicht, dass ihr Kind Legasthenie hat.
Dagegen müssen Sie angehen durch Aufklärung!
- Die Diagnose schafft Klarheit.
- Die Erkenntnis baut Ängste und Blockaden ab.
- Das Gespräch mit den Lehrern kann ganz neue Möglichkeiten eröffnen.
Stategie
Zuerst müssen betroffene Eltern vor allem alle Betroffenen informieren, denn nicht nur sie selbst und die Kinder wissen nicht, wie sie mit dem Problem richtig umgehen sollten, auch Lehrer sind oft über die Problematik unzureichend informiert, weil Legasthenie in Ihrer Ausbildung meist nicht vorkam.
- informieren Sie sich selbst
- dass Sie Lösungswege finden, anstatt dem Kind Faulheit und/oder sich selbst Versagen in der Erziehung vorzuwerfen
- dass Sie Ihr Kind und die Lehrer informieren können
- sagen Sie Ihrem Kind
- dass es nicht dumm ist
- dass Sie mit ihm gemeinsam eine Lösung suchen
- informieren Sie die Lehrer
- dass sie Verständnis haben und Rücksicht nehmen
- dass die Schwierigkeiten mit der Schriftsprache nicht unnötigerweise die Noten in allen Fächern ruinieren, weil das dem Kind alle Motivation nehmen würde, in irgend einem Fach etwas zu lernen
Diagnose
Eine gute Diagnose ist aus mehreren Gründen wichtig:
- Sie kann Gewissheit bringen, dass ein Kind nicht dumm, sondern krank ist, und sie macht Hoffnung, weil dies bedeutet, dass zu einem gewissen Maß Hilfen möglich sind. Oft ist schon die Diagnose selbst für alle Betroffenen (Kinder, Eltern und Lehrer) eine große Hilfe, weil sie Gewissheit bringt: Das Kind bekommt endlich bestätigt, dass es nicht dumm oder faul ist, und die Eltern wissen, dass sie nicht schuld sind. Oft ist diese Erkenntnis der Start in ein neues Leben.
- Eine schriftlicher Befundbericht kann eine wertvolle Hilfe im Gespräch mit den Lehrern sein, denn er zeigt, dass das Problem nicht eingebildet oder vorgeschoben, sondern real ist. Er zeigt auch, dass das Kind in den meisten Schulfächern gute Leistungen erbringen kann, wenn die Lehrer im die Chance dazu geben.
- Eine gute Diagnose liefert oft zusätzlich auch Hinweise auf individuelle Stärken und Schwächen. Diese können die Basis für gezielte erfolgversprechende Therapie bilden. Das beendet den vergeblichen Kampf, das Problem durch noch mehr Üben zu lösen, was bei den Betroffenen bislang nur zu noch mehr Frust geführt hat.
- Teilweise können Sie hierbei auch eine gute Beratung und Tipps für gezielte individuelle Hilfen erhalten.
Gespräch mit den Lehrern
Verständnisvolle Lehrer sind für Kinder mit Legasthenie enorm wichtig. In der Lehrer-Ausbildung kam jedoch Legasthenie oft nicht vor. Früher wurde sogar gelegentlich der Standpunkt vermittelt, dass Legasthenie gar nicht existiert.
Sprechen Sie daher mit den Lehrern ihres Kindes, um eine angemessene Berücksichtigung der spezifischen Schwierigkeiten des Kindes zu erreichen.
Auf dieses Gespräch sollten Sie sich gut vorbereiten. Sie sollten den schriftlichen Befund einer Diagnose mitbringen und den Legasthenie-Erlass des jeweiligen Bundeslandes. Diese Dokumente räumen mögliche Zweifel und Verdächtigungen im Vorfeld aus. Sie zeigen, dass das Problem wirklich existiert und dass Handlungsbedarf besteht.
Falls ein Lehrer sich als schlechter Pädagoge erweist und sich strikt verweigert, kann ein Wechsel in eine parallele Schulklasse oder gar eine andere Schule für das Kind hilfreicher sein, als der Versuch, den Lehrer gegen seine Überzeugung zur Einhaltung von Vorschriften zu zwingen. Umgekehrt gibt es auch sehr engagierte Lehrer, die sich über die gute Nachricht freuen, dass die Ursache gefunden ist, und gerne mithelfen. Es gibt auch Schulen mit speziellen LRS-Förderklassen, betreut von besonders geschulten Lehrern, jedoch haben diese oft eine lange Warteliste.
Weiterlesen: Fragen und Antworten zu Legasthenie und LRS