Inhalt
Wann sollte etwas unternommen werden ?
Einerseits kann sich eine Lese- und Rechtschreib-Störung als solche natürlich erst nach Unterrichtung von Lesen und Schreiben bemerkbar machen, also frühestens nach dem ersten Schuljahr. Auch unterliegen die Seh- und Hörfähigkeiten von Kindern im Alter des Schuleintritts noch einer starken Entwicklung (es ist noch nicht erwiesen, aber möglich, dass der Schulbesuch die Ursache für einen weiteren Entwicklungsschub dieser Sinneswahrnehmungen ist).
Andererseits sollte eine sichere Diagnose so früh wie möglich vorliegen, weil sonst nicht nur der gesamte weitere schulische Werdegang erheblich gefährdet ist. Dies gilt insbesondere in Deutschland, wo die Entscheidung für die weiterführende Schule schon am Ende der vierten Klasse fällt, dies ist im internationalen Vergleich ungewöhnlich früh. Auch wird in Deutschland üblicherweise ab der dritten Schulklasse in Mathematik auf Textaufgaben umgestellt. Meist verschärfen sich dadurch die Schwierigkeiten, beziehungsweise sie dehnen sich auf weitere Fächer aus. Das sollte vermieden werden! Daher sollten Eltern nicht zu lange darauf warten, dass sich das Problem von alleine „auswächst“.
Es gibt auch Fälle, in denen aufmerksamen Eltern oder Erziehern schon im Vorschulalter auffällt, dass ein Kind im Vergleich zu den anderen Kindern zum Beispiel schlechter hört oder sieht. In diesem Fall sollten die Sinnesorgane (Auge und Ohr) fachärztlich abgeklärt werden. Neuerdings gibt es auch Angebote für Früh-Diagnose der Hör- und Sehverarbeitung und vorbeugende gezielte Früh-Förderung.
Ist Legasthenie heilbar ?
Die Antwort auf diese Frage hängt von der jeweils benutzten Definition von Legasthenie ab.
Einerseits gilt geradezu als ein Anzeichen von Legasthenie, dass sie „therapie-resistent“ ist. Auch sind die genetischen Ursachen grundsätzlich nicht an der Wurzel bekämpfbar. So gesehen ist Legasthenie unheilbar.
Andererseits mag in einigen Fällen, in denen zunächst eine Legasthenie-Diagnose vorlag, sich später herausstellen, dass die Schwierigkeiten zum Beispiel durch Hör- oder Seh-Schwächen hervorgerufen wurden. Je nach genauer Ursache (in den Sinnesorganen oder bei der Sinnesverarbeitung im Gehirn) können technische Hilfsmittel und/oder Training helfen, solche Schwächen auszugleichen.
Sobald diese Ursachen beseitigt sind, können die Betroffen oft das Verpasste sehr rasch nachholen und erfüllen schon wenig später nicht mehr die Kriterien einer Legasthenie, sind also quasi „geheilt“.
Theorie:
Je nach Auslegung der Definition könnte man aber auch sagen, dass in solchen Fällen streng genommen niemals eine Legasthenie vorgelegen hat. Damit würde man generelle „Unheilbarkeit“ zur Definition von Legasthenie hinzufügen (die offiziell nur einige explizit aufgezählte alternative Ursachen ausschließt).
Praxis:
Unabhängig von dieser Haarspalterei bedeutet die Unheilbarkeit keineswegs, dass den Betroffenen überhaupt nicht geholfen werden kann. Hilfe ist möglich sowohl durch Suche und Beseitigung möglicher Ursachen, als auch ganz erheblich durch Verbesserung der Schulsituation.
Hilft Nachhilfe bei Legasthenie ?
Was man nicht kann, muss man üben
Mehr Üben ist stets der erste empfehlenswerte Schritt, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt. Es ist ganz natürlich, dass das Erlernen von Lesen und Rechtschreibung zunächst große Schwierigkeiten macht und viel Üben erfordert. Schließlich ist es eine unnatürliche Tätigkeit in dem Sinne, dass es uns nicht angeboren ist. Schriftsprache ist eine Kulturtechnik, die in der Menschheitsgeschichte erst relativ kürzlich erfunden wurde. Daher muss sie (mühsam) erlernt werden. Erwachsene wissen meist nicht mehr, wie schwer es ihnen selbst damals gefallen ist.
Natürlich wird bei verschiedenen Kindern unterschiedlich viel Üben erforderlich sein, denn nicht alle Kinder sind gleich.
Daher kann Nachhilfe bei anfänglicher Lese-Rechtschreib-Schwäche sinnvoll sein.
Man kann alles übertreiben
Wenn jedoch absehbar wird, dass Nachhilfe das Problem wohl nicht wirklich lösen wird, sollten andere Maßnahmen ergriffen werden, und es ist wichtig, dass dies frühzeitig geschieht.
Reines zusätzliches Üben von Lesen und Rechtschreibung kann bei echter Legasthenie das Problem nicht wirklich lösen. Wenn alle Legastheniker einfach 'nur‘ für das Erlernen von Lesen und Schreiben drei mal so viel Üben müssten, wäre das zwar für die Betroffenen enorm lästig, aber die gesamte Problematik wäre sehr viel harmloser und es gäbe kaum erwachsene Legastheniker.
Legasthenie zeichnet sich jedoch gerade dadurch aus, dass betroffene Kinder, im Gegensatz zu ihren Altersgenossen, trotz allen Übens dennoch die selben Fehler immer wieder machen. Dies gilt vielfach als das typische Anzeichen für Legasthenie. In ICD-10 (internationale Klassifikation der Krankheiten) wird als Teil der Definition von Legasthenie genannt: „Rechtschreibstörungen […] persistieren oft bis in die Adoleszenz“, d.h. sie verfolgen die Betroffenen ein Leben lang.
Legastheniker erzielen bald durch übertrieben viel Üben keine wirklichen Fortschritte mehr. Dann bewirkt noch mehr Üben nur noch mehr Frustration.
Welche Therapie hilft bei Legasthenie ?
Klarstellung
Einige Ursachen sind grundsätzlich nicht an der Wurzel bekämpfbar (z.B. Gen-Mutationen). So gesehen ist Legasthenie unheilbar. Dennoch kann mit der richtigen Förderung den meisten Betroffenen sehr geholfen werden.
Es gibt nicht die Ursache von Legasthenie. Daher kann es auch nicht die Therapie geben, die allen hilft.
Abgrenzungen
Bei Verdacht auf Seh- und/oder Hörschwierigkeiten sollten die Augen und Ohren fachärztlich untersucht werden, denn Erkrankungen oder Fehlfunktionen der Sinnesorgane können ähnliche Symptome verursachen (treten aber bei Kindern nur selten auf).
In vielen Fällen finden sich bei detaillierter Diagnose einzelne Teilleistungsschwächen, die als Ursache oder zumindest Mitursache in Betracht kommen und die mit Training beseitigt oder vermindert werden können.
Die Schwächen sind individuell sehr unterschiedlich, dementsprechend muss auch die Hilfe individuell angepasst erfolgen.
Ziel
Das wichtigste ist es, den Betroffenen dennoch eine erträgliche Schulkarriere zu ermöglichen, sodass sie nicht zu völligen Schulverweigerern werden.
Woran erkennt man seriöse Hilfsangebote ?
Die Angebotspalette ist außerordentlich vielfältig und einiges ist zumindest zweifelhaft. Es ist jedoch nicht seriös möglich, eine Liste aller Angebote zu erstellen mit Aufteilung in empfehlenswert und nicht empfehlenswert. Niemand kann sich ausreichend intensiv mit jedem Angebot beschäftigen, um in allen Fällen ein korrektes Urteil abgeben zu können. Es wäre auch unfair, hier einzelne Angebote herauszupicken.
Jedoch gibt es in vielen Fällen Anzeichen dafür, ob ein Angebot für Legastheniker empfehlenswert ist, zum Beispiel:
Es gibt kein Allheimilttel: Ein Angebot ist eher nicht empfehlenswert, wenn der Anbieter suggeriert, Legasthenie habe immer die selbe Ursache, er könne daher mit einer Methode allen Kindern helfen bzw. alle Kinder erhalten die gleiche Therapie.
Nachhilfe: Hinter vielen Angeboten verbirgt sich letzlich nur Nachhilfe, die den Schulstoff wiederholt. Dadurch werden die zugrunde liegenden Ursachen nicht beseitigt.
Gruppen-Therapie: Nachhilfe kann in Gruppen erfolgen, aber Legasthenie kann viele Ursachen haben, daher brauchen betroffene Kinder gezielte und individuelle Förderung.
Diagnose: Ein Training ohne vorausgehende Diagnose ist nicht empfehlenswert, weil es keinen Sinn macht, etwas zu trainieren, was man schon kann, oder etwas, was man deswegen noch gar nicht können kann, weil einem die nötigen Grundlagen dafür noch fehlen.
Test: Es ist nicht korrekt, wenn in einer als Legasthenie-Test o.ä. angepriesenen Diagnose nur ein Lese- und/oder Rechtschreibtest durchgeführt wird. Damit lässt sich Legasthenie nicht von Lese-Rechtschreib-Schwäche unterscheiden. Ein solcher Kurz-Test ist auch nicht sinnvoll, denn er liefert kaum Hinweise auf mögliche individuelle Schwächen. Beides wäre für die Wahl der richtigen Maßnahme wichtig.
Dauer: Legasthenie wird in der Regel nicht in wenigen Wochen oder Monaten vollständig verschwinden. Umgekehrt läuft aber auch etwas schief, wenn nach vielen Monaten immer noch kein deutlicher Fortschritt zu bemerken ist oder wenn nach einiger Zeit kein weiterer Fortschritt mehr stattfindet.
Studien: Positiv, aber selten, ist es, wenn es Studien gibt, die die Wirksamkeit belegen und die in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden.
LRS/Legasthenie-Erlasse
Noch vor einigen Jahren existierte für viele Lehrer Legasthenie nicht. Inzwischen haben die Kultusministerien erkannt, dass nicht alle Kinder gleich sind, sondern dass ein paar Prozent der Schulkinder wirklich spezifische Probleme beim Erwerb der Schriftsprache haben, obwohl sie weder dumm noch faul sind.
Dies schlägt sich in den Legasthenie-Erlassen nieder. Weil Bildung in Deutschland eine Sache der Bundesländer ist, unterscheiden sich die Regelungen von Land zu Land.
Grundprinzip: Die meisten Legasthenie-Erlasse enthalten nur wenige oder keine bindende Vorschriften. Vielmehr erlauben sie Lehrern und Schulen bei betroffenen Kindern zusätzliche Maßnahmen, die nach dem Ermessen und den Möglichkeiten der Lehrer und der Schulen umgesetzt werden sollen bzw. dürfen. Daher sollten Sie die Legasthenie-Erlasse nicht als ein Recht ansehen, das Sie als Eltern einfordern können, sondern als Freiraum, den Schulen beziehungsweise Lehrer in begründeten Ausnahmefällen nutzen dürfen.
Beispiele: Oft gibt es die Möglichkeit, bei nachgewiesener Legasthenie bei bestimmten schulischen Aufgaben, die mit Lesen und/oder Rechtschreiben zu tun haben, Zeitzuschläge zu bekommen. Tests können mündlich statt schriftlich abgelegt werden oder die mündliche Leistung kann stärker in die Benotung eingehen. Der Erlass kann vorschreiben oder ermöglichen, dass sogar im Fach Deutsch und in Fremdsprachen die Rechtschreibeleistung nicht oder als getrennte Note bewertet werden soll.
Sonderfall:Teilweise (z.B. in Bayern) sind auch sehr spezifische Regeln enthalten, z.B. dass eine Legasthenie-Diagnose nur von bestimmten Berufsgruppen durchgeführt werden darf und dass die Betroffenen in Abhängigkeit von der genauen Diagnose in zwei Gruppen eingeteilt werden, von der den einen geholfen wird, den anderen nicht. Es gibt jedoch verständnisvolle Lehrer, die in jedem Einzelfall die pädagogisch sinnvollste Entscheidung treffen, unabhängig vom Erlass, auch wenn die Diagnose anderswo erstellt wurde.
Achtung, Zeugnishinweis: teilweise wird bei Inanspruchnahme von Sonderregeln im Abschlusszeugnis ein Hinweis stehen, dass die Rechtschreibung wegen Legasthenie unberücksichtigt geblieben ist. Dies kann später bei Vorlage solch eines Zeugnisses einen schlechten Eindruck machen. Daher verzichten teilweise Eltern auf Sonderrechte, um diesen Eintrag zu vermeiden. Sie sollten vorab klären, ob und unter welchen Umständen das Abschlusszeugnis einen Hinweis enthalten wird und wie genau dieser aussieht.
Generell gilt: Wichtiger als der Erlass sind verständnisvolle Lehrer!
Ist Legasthenie eine Krankheit ?
Einerseits existiert in der ICD-10 (internationale Klassifikation der Krankheiten) eine Definition für die „Lese- und Rechtschreibstörung“. Also gilt Legasthenie eigentlich offiziell als Krankheit.
Allerdings weigern sich in Deutschland die gesetzlichen Krankenkassen, Legasthenie als Krankheit anzuerkennen. Sie argumentieren, dass Legasthenie nicht „die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt“ (dann wären sie zuständig), sondern dass es sich um ein Schulproblem handele und daher die Schulen für alle notwendigen Maßnahmen verantwortlich sind.
Wer bezahlt die Behandlung ?
Es würde zweifellos viel Geld sparen, wenn Legasthenikern frühzeitig intensiv geholfen würde, aber jede einzelne zuständige Stelle versucht, ihren eigenen Etat zu schonen:
Gesetzliche Krankenkassen
Krankenversicherungen akzeptieren Legasthenie nicht als Krankheit.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine Behandlung als Legasthenie-Therapie deklariert ist. Wenn jedoch im Einzelfall eine mögliche konkrete Ursache diagnostiziert wurde und gezielt diese therapiert werden soll, hat ein Antrag auf Kostenübernahme dieser konkreten Therapie Chancen. In diesem Fall sollte zur Vermeidung von Missverständnissen nur die konkrete Therapie benannt und das Wort Legasthenie, sowie Hinweise auf Schulprobleme vermieden werden. Das Ziel darf nicht besserer Schulerfolg sein, sondern ein konkretes, nachgewiesenes und generelles Defizit zu beseitigen.
Es handelt sich jedoch oft um Behandlungen, zu deren Erstattung die Kassen nicht verpflichtet sind, d.h. man muss einen Antrag auf Kostenübernahme stellen und ist vom Ermessen der jeweiligen Sachbearbeiter abhängig. Es gibt einen Ermessensspielraum für Einzelfallentscheidungen.
Private Krankenversicherungen
Im Grundsatz gilt das gleiche wie für gesetzliche Krankenassen, allerdings ist die Bereitschaft für Ausnahmen hier in der Regel viel größer, wenngleich diese Bereitschaft mit zunehmender Geldknappheit auch abnimmt.
Jugendamt
In Fällen „drohender seelischer Behinderung“ (d.h. wenn es eigentlich schon viel zu spät ist) kann beim Jugendamt die Bezahlung einer außerschulische Förderung beantragt werden. Jedoch versuchen auch Jugendämter vermehrt, die Verantwortung auf die Schulen zu schieben.
Mehr Informationen z.B. bei Google
Schule
Spezielle Förderschulen haben ggf. mehr und flexiblere finanzielle Möglichkeiten als Regelschulen.