Depressionen bei Jugendlichen: Symptome ernst nehmen und Ursachen behandeln
Signale von verzweifelten Kindern und Jugendlichen, die nicht mehr leben wollen, werden in ihrer Bedeutung nicht selten falsch eingeschätzt oder nicht ernst genommen.
Dieses Problem wird im Report zur psychischen Lage der Nation (vom BDP) herausgestellt.
Leider ist die Zahl der Jugendlichen, die sich das Leben nehmen (im Jahr 2003: 244 Jugendliche), über die letzten Jahre gleich geblieben, während allgemein die Zahl der Suizide zurückgeht. In der Altersgruppe der 15-35jährigen steht der der Suizid sogar an zweiter Stelle aller Todesursachen.
Es ist heute klar, das 90% aller Suizide auf psychische Erkrankungen zurückzuführen sind, die große Mehrzahl davon als Folge einer Depression. Die Öffentlichkeit muss also für das Problem depressiver kinder und Jugendlicher sensibilisiert werden.
Hilfeschrei
Depression ist eine ernsthafte, nicht selten auch lebensbedrohliche Erkrankung, die mit einem größeren Leidensdruck einhergeht als die meisten anderen Erkrankungen. Für viele Betroffene ist der Zustand so unerträglich, dass sie sich wünschen, einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Aus ihrer Verzweiflung heraus tragen sie sich nicht selten mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Dies gilt auch für depressive Jugendliche.
Zum Thema „Depressionen bei Kindern und Jugendlichen“ schreibt Dr. Jost von der Psychologische Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche, in Offenbach: „Die Zahl der Suizidversuche junger Menschen steigt an, sie übertreffen die Suizide um das Zehn- bis Zwanzigfache. Die Dunkelziffer ist hoch. Viele der Suizidversuche werden als solche nicht erkannt. Gleichwohl stellen sie sehr ernstzunehmende Hilferufe dar. Diese Kinder und Jugendlichen wollen überwiegend nicht wirklich tot sein, sie sehen nur keinen anderen Weg mehr, um auf ihre persönliche Not und Verzweiflung aufmerksam zu machen. Wichtige Komponenten von Suizidalität ist die depressive Verfassung, verbunden mit Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit.“
Junge Menschen die keinen Sinn mehr in ihrem Leben sehen, geben vielfältige Hinweise mit Hilfe von Andeutungen, Drohungen, Bildern, Abschiedsbriefen, konkreten vorbereitenden Maßnahmen, Träumen und Phantasien der Selbstvernichtung, Rückzug. Verhaltensauffälligkeiten sind häufig, auch in der Hinsicht, dass Jugendliche unter Umständen völlig anders als sonst üblich auftreten.
Mehr als Verstimmung
Depressiv im umgangssprachlichen Sinne ist jeder einmal. Fachleute nennen das „depressive Verstimmung“ – und die gehört zum Leben dazu wie Glücksgefühle oder „Schmetterlinge im Bauch“. Die Grenzziehung zwischen einer depressiven Verstimmung und einer behandlungsbedürftigen Depression ist wichtig, denn wird diese nicht getroffen, werden an einer Depression erkrankte Menschen in ihrem Leiden nicht ernst genommen.
Mindestens 10 Prozent aller Jugendlichen haben bis zum Eintritt in das Erwachsenenalter eine oder mehrere ernst zu nehmende depressive Episoden durchlebt. Das gleichzeitige Vorhandensein anderer Störungen neben der Depression ist ein generelles Problem für die Diagnostik und Therapie depressiver Störungen im Kindes- und Jugendalter, erklärt Jost.
Diagnose
Bevor die Diagnose „Depressive Episode“ gestellt wird, muss sicher sein, dass keine körperliche Erkrankung und kein Drogen- oder Medikamentenkonsum vorliegen, ferner, dass die depressive Verstimmung keine Reaktion auf den Tod einer nahe stehenden Person darstellt. „Kinder und Jugendliche mit leichten depressiven Störungen gehen schulischen und sozialen Aktivitäten noch zum größten Teil nach. Mit schweren depressiven Störungen sind ein erheblicher Verlust des Selbstwertgefühls sowie ausgeprägte Gefühle eigener Wertlosigkeit und Schuld verbunden. Körperliche Symptome, aber auch Suizidideen und -handlungen sind häufig. Betroffene Kinder und Jugendliche können ihren Alltag nicht mehr bewältigen.“
Begleitet wird eine Depression bei Kindern häufig durch aggressiv-dissoziales Verhalten, Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsdefizite und Angststörungen, zum Beispiel in Form von Trennungsängsten. Bei Jugendlichen tritt eine Depression oft gleichzeitig mit Drogen- und Alkoholkonsum, Essstörungen und/oder Sozialer Phobie auf. Nicht selten ist soziale Unsicherheit ein Vorläufersymptom depressiver Störungen.
Schutz vor depressiven Störungen
Doch wie schützt man Kinder und Jugendliche vor depressiven Störungen? Für den Auf- und Ausbau von Präventionsansätzen sind folgende Schutzaspekte besonders wichtig:
- Unterstützende familiäre Strukturen in Belastungssituationen (z.B. Mädchen durch ihre Mütter)
- Sichere familiäre Bindungen als Voraussetzung eines stabilen Selbstvertrauens des Jugendlichen und auch als Schutz in Situationen von Stress und kritischen Lebensereignissen
- Akzeptanz, Toleranz und Unterstützung in der Gruppe von Gleichaltrigen (wichtiger Raum, sich selbst zu erproben und Eigenschaften wie soziale Kompetenz, Selbstbehauptung und Durchsetzungsvermögen zu entwickeln)
- Stressimmunisierung und Steigerung psychischer Widerstandsfähigkeit durch Kompetenzerhöhung des Jugendlichen
- Erlernen von Konfliktlösungsstrategien
- Einflussnahme auf Gedanken und Gefühle eigener Hilflosigkeit
Selbst nach erfolgter Behandlung bieten Kinder und Jugendliche mit Depressionen ein hohes Rückfallrisiko. Zu empfehlen ist deshalb einerseits eine längerfristige Weiterbetreuung der Betroffenen. Und andererseits ist der Ausbau von präventiver Arbeit in jedweden Kinder- und Jugendeinrichtungen und niedrigschwelligen Beratungseinrichtungen unverzichtbar. Nur mit Hilfe dem Alter entsprechender Angebote besteht überhaupt eine Chance, Kinder und Jugendliche mit depressiven Störungen zu erreichen. Außerdem gilt es, so Jost abschließend, die Qualität von Diagnostik und Intervention fortzuentwickeln.
Was tun bei Signalen für eine psychische Krise?
Depressive Kinder und Jugendliche richtig behandeln
Was können Eltern, Lehrer, Freunde, Mitschüler, Verwandte tun, wenn sie das Gefühl haben, ein Mädchen oder ein Junge zieht sich zurück, interessiert sich für nichts mehr, wirkt insgesamt teilnahmslos und freudlos, zeigt Anzeichen von Verzweiflung, ist „ganz anders“ als sonst?
Bei Signalen für eine psychische Krise bzw. eine depressive Episode bei einem Kind oder einem Jugendlichen ist es wichtig, nicht wegzusehen oder wegzuhören! Zwar sei Verunsicherung oder Hilflosigkeit in der Frage, was man tun soll, verständlich, betont Dr. Klaus Jost, doch dürfe man die betroffenen Kinder/Jugendlichen in ihrer Not der Depression nicht alleine lassen.
Das Wichtigste sei, auf sie einzugehen, sich für sie, ihre Belange, die aktuellen Sorgen und Belastungen zu interessieren, sie ernst zu nehmen, sich um sie – im wahrsten Sinne des Wortes – zu kümmern, sie zugleich in all den Dingen zu unterstützen, die ihnen womöglich noch Freude machen und geeignet sind, das Selbstwertgefühl zu stärken.
Da man als Laie in vielen Fällen überfordert ist, die Art und Schwere einer Depression richtig einzuschätzen, sollte – parallel dazu – professionelle Hilfe und Unterstützung angestrebt werden, erklärt Dr. Jost. Nur so sei letztlich die Entscheidung über eine indizierte Therapie möglich. In Frage kommen geeignete Beratungseinrichtungen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Praxen und klinische Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie, letztere vor allem bei gegebener Suizidalität.
Es ist eine falsch verstandene Durchhalte-Ideologie, wenn Betroffene und ihr Umfeld der Auffassung sind, sie müssten allein mit der belastenden Situation zurechtkommen. Häufig überfordern sich dadurch alle Beteiligten. Depression ist kein Makel, keine Schwäche, vielmehr eine verständliche Reaktion des Menschen auf Belastungen und Stress sehr unterschiedlicher Art, denen nicht mehr widerstanden werden kann.